• Hintergrund

    Die Richtlinie für die Untersuchung der Standsicherheit von Böschungen der im Tagebau
    betriebenen Braunkohlenbergwerke (Richtlinie für Standsicherheitsuntersuchungen - RfS -)
    in der Fassung vom 16.05.2003 forderte unter Abschnitt 4.5 (5) für bleibende Böschungen
    eine angemessene Berücksichtigung von durch mögliche Erdbeben bedingten Einwirkungen.
    Da bisher keine detaillierten diesbezüglichen Regelungen für die Anwendungsfälle
    „Hochkippen“ und „Restseen“ vorliegen, wurde eine Ergänzung der Richtlinie als
    erforderlich angesehen.

    Die Ergänzung der RfS vom 08.08.2013 gilt für die Berücksichtigung von Erdbeben-
    einwirkungen bei bleibenden Böschungen von Restseen und von Hochkippen der
    Braunkohlentagebaue in Nordrhein-Westfalen. Grundlage der Erarbeitung war die
    „Gutachterliche Stellungnahme zu Standsicherheitsberechnungen mit Erdbebenbeschleunigungen
    für Böschungen im Rheinischen Braunkohlenrevier“ von Herrn Prof. Dr.-Ing. Triantafyllidis
    (Institut für Bodenmechanik und Felsmechanik am Karlsruher Institut für Technologie).

    Bei der Erarbeitung erfolgte, soweit möglich und sinnvoll, eine Anlehnung an bestehende
    geotechnische Normen. In diesen Normen, insbesondere in der DIN 19700 „Stauanlagen“
    sowie im Eurocode 8 „Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben“ und dem nationalen
    Anhang, finden sich Hinweise zur Berücksichtigung von Erdbebeneinwirkungen. In der
    DIN 19700 werden für große Anlagen (Talsperrenklasse 1) Wiederkehrperioden von
    500 Jahren („Betriebserdbeben“) und 2500 Jahren („Bemessungserdbeben“) angesetzt.

    Im nationalen Anhang des Eurocode 8 finden sich Hinweise zu den anzusetzenden
    Bodenbeschleunigungen (analog zu DIN 4149) und zu Berechnungsverfahren für die
    Standsicherheit von Bauwerken im Bereich von Böschungen unter Berücksichtigung
    von Erdbeben. Als Gefährdungsniveau wird hierbei eine Wiederkehrperiode von 475
    Jahren angesetzt. Weitere Erläuterungen zur Entstehung von Erdbeben sowie
    Grundsätze der Gefährdungsberechnung und zum Nachweis der Erdbebensicherheit
    von Stauanlagen in Nordrhein-Westfalen enthält das Merkblatt 58 "Berücksichtigung
    von Erdbebenbelastungen nach DIN 19700" des Landesumweltamtes Nordrhein-
    Westfalen (heute: Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW).

    Zur Berücksichtigung von Erdbebeneinwirkungen auf bleibende Böschungen können
    sowohl statische als auch dynamische Verfahren zur Anwendung kommen. Eine
    Voraussetzung der Untersuchung mit diesen Verfahren ist das Nichtauftreten von
    Verflüssigungseffekten der Materialien, mit denen die Böschungen hergestellt werden.

    Bei Anwendung der in der RfS vom 16.05.2003 unter den Abschnitten 4.4.1 und
    4.4.2 aufgeführten statischen Berechnungsverfahren sind Erdbeben mit Hilfe eines
    sogenannten pseudo-statischen Ansatzes zu berücksichtigen.

    Bei diesen Verfahren werden die durch ein Erdbeben auftretenden Kräfte entweder
    als Anteil der Erdbeschleunigung (mit k als „seismischer Koeffizient“ bezeichnet) oder
    anhand der durch Erdbeben verursachten Spitzenbodenbeschleunigung (mit

    Bild
    A2.19_Sonderzeichen_koeffizient
    als
    „pseudo-statischer Koeffizient“ bezeichnet), angesetzt. Der Wertebereich des seismischen
    Koeffizienten k ist regional unterschiedlich und umso größer, je stärker die in
    einem Gebiet zu erwartenden Erdbeben sind. Bei Nutzung des pseudo-statischen
    Koeffizienten
    Bild
    A2.19_Sonderzeichen_koeffizient
    wird die Stärke der zu erwartenden Erdbeben durch die Spitzenboden-
    beschleunigung berücksichtigt.

    Um für den konkreten Anwendungsfall für Hochkippen und Restseen im Rheinischen
    Braunkohlenrevier die Eignung des gewählten pseudo-statischen Ansatzes zu überprüfen,
    wurde Herr Prof. Dr.-Ing. Triantafyllidis von der Bezirksregierung Arnsberg mit der
    Erarbeitung eines Gutachtens beauftragt. Durch den Einsatz dynamischer Berechnungs-
    verfahren erfolgte in seiner Arbeit eine Rückrechnung der in pseudostatischen Verfahren
    anzusetzenden pseudo-statischen Koeffizienten.

    Die anzusetzende Spitzenbodenbeschleunigung an der Geländeoberfläche ist aus
    einer ortsbezogenen Datenabfrage zu Erdbebengefährdung beim Deutschen Geo-
    Forschungszentrum Potsdam oder durch ein standortspezifisches seismisches Gutachten
    des Geologischen Dienstes NRW, bzw. einer anderen fachkundigen Stelle zu ermitteln.

    Die Wiederkehrperiode und die Ermittlung der zugehörigen Bodenbeschleunigungen
    sind für bleibende Böschungssysteme von Restseen

    • bis zum Erreichen des endgültigen Wasserstandes mit
      T = 500 Jahre
    • und nach Erreichen des endgültigen Wasserstandes mit
      T = 2.500 Jahre

    anzusetzen.

    Diese Festlegung erfolgte in Anlehnung an DIN 19700-10, wonach große Talsperren
    der Klasse 1 gegen globales Versagen für Erdbebeneinwirkungen mit einer Wiederkehr-
    periode von 2.500 Jahren auszulegen sind (Eintrittswahrscheinlichkeit 4•10-4).
    Gegenüber dem Eurocode 8 werden damit für Böschungssysteme von Restseen höhere
    Beschleunigungen angesetzt (Wiederkehrperiode Eurocode 8: T = 475 Jahre).
    Die Bemessung der Restseeböschungen wird damit bereits im Hinblick auf eine spätere
    bauliche Nutzung, für die die Anforderungen der DIN EN 1998 (Eurocode 8) zu
    berücksichtigen sind, ausgelegt.

    Neben dem beschriebenen Verfahren zur Ermittlung der Erdbebenkräfte auf die Böschung
    müssen bei der Dimensionierung der großräumigen Restseen zudem die erdbeben-
    induzierten Schwankungen des Seewasserspiegels und die im Böschungskörper aufgrund
    des Erdbebens auftretenden Porenwasserüberdrücke rechnerisch berücksichtigt werden.